In unserem exklusiven Interview tauchen wir in die faszinierende Welt der "Großen Hobbit-Enzyklopädie" ein, ein Buch, das nicht nur Fans von J.R.R. Tolkiens "Der Hobbit" begeistern wird, sondern auch diejenigen, die tiefer in die Mythen und Legenden von Mittelerde eintauchen möchten. Geschrieben von Damien Bador, Vivien Stocker, Coralie Potot und Dominique Vigot, bietet diese Enzyklopädie einen einzigartigen Zugang zu einem der prägendsten Werke der Fantasy-Literatur. Wie hat "Der Hobbit" ihr Leben beeinflusst, und was inspirierte sie, gerade über diesen Teil von Tolkiens Legendarium eine Enzyklopädie zu schaffen? Wie gestaltete sich ihre Zusammenarbeit und welche Herausforderungen mussten sie überwinden? Diese und weitere Fragen klären wir in einem Gespräch.
Wir sind natürlich alle schon sehr gespannt darauf, etwas über euer gemeinsames Buch zu erfahren. Zuerst würde uns aber interessieren, mehr über euch als Autoren bzw. Autorin zu erfahren. Wie hat Der Hobbit euer Leben beeinflusst, vielleicht sogar inspiriert und welche Bedeutung hat diese Geschichte für euch?
Vivien: Der Hobbit war das erste Buch von Tolkien, das mir in die Hände kam, als ich neun oder zehn Jahre alt war. Zu dieser Zeit war es einfach ein weiteres Buch, das ich gelesen habe, und noch nichts, was für mich herausgestochen hat. Einige Jahre später schenkte mir meine Mutter drei Bände einer Buchreihe, die sich als Der Herr der Ringe entpuppte. Darin entdeckte ich einige Figuren, deren Namen mir schon im Hobbit begegnet waren. Das war der Moment, in dem ich von Tolkiens Welt gefangengenommen wurde. Dann entdeckte ich dank der Werbung für die Herr-der-Ringe-Filme das Silmarillion, und so weiter. Für mich ist Der Hobbit also in dem Sinne etwas Besonderes, weil ich Tolkiens Werke ebenso wie seine ersten Lesenden durch sein erstes veröffentlichtes Buch entdeckt habe.
Dominique: Bei mir war es genau umgekehrt. Ich habe – eher zufällig – zuerst Der Herr der Ringe gelesen und habe mich sofort in diese Welt verliebt. Ich wollte mehr von dieser Welt erfahren und so kam ich über den Prolog des Herrn der Ringe, in dem Bilbos Abenteuer-Geschichte erwähnt wird, auf das Buch Der Hobbit. Dieser Hinweis hat mich auf die ganze Bibliografie von Tolkien aufmerksam gemacht. Außerdem enthält der Hobbit viele Hinweise auf andere Geschichten, die wie Eastereggs entdeckt werden wollen.
Coralie: Ich habe ebenfalls zuerst Der Herr der Ringe gelesen, den ich zufällig in der lokalen Bibliothek gefunden habe – da war ich neun Jahre alt. Den Hobbit habe ich erst später entdeckt und da meine Bibliothek das Silmarillion nicht im Programm hatte, hat es noch ein paar Jahre gedauert, Tolkiens Welt komplett zu erforschen. Aber einmal angefangen, konnte ich damit nicht mehr aufhören.
Damien: Das wäre eine ziemlich lange Geschichte … Um es kurz zu machen: Der Hobbit war das erste Buch von Tolkien, das ich gelesen habe, ich glaube ich war etwa sechs Jahre alt. Und es war auch mein erstes Fantasy-Buch überhaupt. Ich war so beeindruckt, dass ich meine Eltern fragte, ob dieser Autor noch irgendetwas anderes geschrieben hatte und sie gaben mir Der Herr der Ringe. Eigentlich hatte ich vor, den ersten Band in nur einer Nacht zu lesen, aber daran bin ich natürlich gescheitert. Über die Jahre habe ich fast alles gelesen, was Tolkien veröffentlicht hat (auch die trockenen Essays über elbische Grammatik und Phonologie), aber ich bin immer wieder zum Hobbit zurückgekehrt.
Was hat euch dazu inspiriert, eine Enzyklopädie über Der Hobbit zu schreiben, statt über die gesamten Werke von Tolkien?
Vivien: L’Encyclopédie du Hobbit ist ein Projekt, das 2013 in Frankreich veröffentlicht wurde. Unser Hauptwunsch war es, ein Buch zu schreiben, das den Lesenden die „echten“ Informationen aus Tolkiens Texten geben kann (Charaktere, Orte, etc.). Zum Beispiel sprechen wir nicht über Tauriel, die eine Erfindung der Filme ist und in den Büchern nicht auftaucht. Dagegen schreiben wir aber über Legolas, der im Buch Der Hobbit zwar nicht auftaucht, der aber zu der Zeit, in der die Geschichte spielt, bereits in Mittelerde unterwegs ist.
Dominique: Es gab keinen "Hobbit-Leseschlüssel", und wir wussten, dass dieses Buch auf mehr als eine Weise gelesen werden konnte (wenn man die Geschichte von Gondolin kennt, kann man Gandalfs Schwert nicht auf dieselbe Weise sehen).
Damien: Ich glaube, Vivien bringt es sehr gut auf den Punkt.
Coralie: Vivien fasst es perfekt zusammen!
Könntet ihr ein Beispiel dafür geben, wie die Zusammenarbeit zwischen vier Schreibenden funktioniert hat? Wie habt ihr die Arbeit aufgeteilt und wie habt ihr Entscheidungen getroffen?
Vivien: Zunächst einmal, und das ist wirklich wichtig für uns, wir sind nicht die einzigen vier sind, die an dem Buch geschrieben haben. Tatsächlich waren wir eher vier Manager bzw. Managerinnen mit etwa fünfzehn weiteren Schreibenden für das ganze Buch. Jeder von uns und jeder dieser Autoren bzw. Autorinnen hat Artikel für dieses Buch geschrieben, jeweils zu dem Thema, das ihn oder sie am meisten angesprochen hat. Wir vier fungierten als Redakteure bzw. Redakteurinnen, Korrekturlesende usw.; wir waren dazu da, die Texte zu vereinheitlichen und zu sammeln, und natürlich haben wir auch einen großen Teil der Texte geschrieben.
Dominique: Jeder Text wurde mindestens von uns vieren gelesen, und das mehr als einmal. An einem gewissen Punkt mussten wir überprüfen, wer der Autor bzw. Autorin war, um Anpassungen vorzunehmen.
Damien: Ja, genau so haben wir es gemacht. Zusätzlich war ich derjenige, der die Kontakte mit dem Herausgeber pflegte und das abschließende Korrekturlesen des Index und des gesamten Buches durchführte. Dies erwies sich als Albtraum, da der Lektor des Herausgebers Hunderte von kleineren Änderungen (z. B. Groß- und Kleinschreibung) vorgenommen hatte, ohne uns darüber zu informieren. Glücklicherweise stimmte der Herausgeber zu, dies alles rückgängig zu machen, aber ich brauchte eine ganze Woche Urlaub, um diese ungeplante Arbeit zu bewältigen.
Coralie: Es war wirklich ein Gemeinschaftswerk, an dem alle Autoren und Autorinnen mitgewirkt haben, nicht nur wir vier.
Vor welchen Herausforderungen standet ihr, als ihr Tolkiens Welt im Detail erforscht habt und wie habt ihr sie bewältigt?
Vivien: Für mich war die größte Herausforderung Artikel zu produzieren, die auf eine bestimmte Zeichenanzahl limitiert waren und gleichzeitig präzise genug sein sollten, um dem Lesenden ein Maximum an Informationen zu bieten und zudem noch den Werken von Tolkien und seinem Sohn Christopher gerecht zu werden.
Dominique: Ein Teil der Herausforderung bestand darin, die damals neue französische Übersetzung zu verwenden, obwohl wir alle an die erste Fassung gewöhnt waren, aber einige Elemente waren in unübersetzten Texten enthalten. Und wir mussten dem Buch treu bleiben und uns von Bildern aus Filmen oder Illustrationen lösen.
Damien: Eine weitere Herausforderung bestand darin, herauszufinden, welche Themen einen eigenen Artikel bekommen und welche „nur“ in einem anderen Eintrag erwähnt werden sollten. Diese Nebenthemen sollten ebenfalls ausführlich genug behandelt werden, aber auf natürliche Weise in einem Artikel vorkommen, dessen Hauptthema ein anderes ist.
Coralie: Ich schließe mich Vivien an. Woran ich mich ein Jahrzehnt später am meisten erinnere, ist das Ringen darum, so viele Informationen wie möglich in so wenigen Zeichen wie möglich zusammenzufassen, den Rest der Welt zu erklären und sich dabei immer noch auf Der Hobbit zu fokussieren.
Wie seid ihr mit den verschiedenen Interpretationen und Analysen von Der Hobbit umgegangen und habt entschieden, welche in die Enzyklopädie einfließen sollen?
Vivien: Unser Ziel war es, mit unserer Enzyklopädie dem Lesenden ein Hilfsmittel zu bieten, damit er oder sie sich einen allgemeinen Überblick über die Interpretationen und Inspirationen Tolkiens verschaffen kann, als er den Hobbit schrieb. Deshalb haben wir die offensichtlichsten und von den Fachleuten zum Werk am meisten akzeptierten Themen zusammengestellt, daher befinden sich im Buch auch Artikel über Beowulf, Rätsel usw.
Damien: Im Allgemeinen handelt es sich bei den meisten Einträgen um intradiegetisches Material: Fakten, die in Tolkiens Welt vorkommen. Eine Auslegung im engeren Sinne war so gar nicht erforderlich. Wir mussten nur darauf achten, alle Informationen zu berücksichtigen, die Tolkien in seinen zahlreichen Schriften bereitstellte. Manchmal mussten wir eine Variante aus konkurrierenden Alternativen auswählen. In solchen Fällen wählten wir die von Tolkien veröffentlichte Version, sofern vorhanden, oder für posthumes Material, bei dem wir stets die neueste Version für die richtige hielten, es sei denn, sie widersprach etwas, das Tolkien selbst veröffentlicht hatte. Für den Abschnitt „Inspiration“ haben wir uns tatsächlich, wie Vivien sagt, auf allgemein akzeptierte Interpretationen gestützt, die entweder von Tolkien selbst bestätigt wurden (z. B. in seinen Briefen) oder von einer großen Mehrheit bekannter Tolkien-Forschenden akzeptiert wurden. Wir haben uns oft an die Analysen von Douglas Anderson (Herausgeber von „Der Hobbit mit Anmerkungen“) und Tom Shippey gehalten.
Coralie: Einiges war zum Zeitpunkt unseres Schreibens noch nicht an anderer Stelle veröffentlicht worden, aber es wurde sowohl zwischen uns als auch bei Tolkien-Veranstaltungen diskutiert, um Interpretationen zu erhalten. Aber die meisten Einträge sind sehr sachlich und es ging eher darum zu entscheiden, welche Version die am weitesten akzeptierstete war.
Wie habt ihr die Auswahl der Einträge getroffen — gab es Kriterien, nach denen entschieden wurde, welche Orte, Gegenstände und Ereignisse es in die Enzyklopädie schaffen?
Vivien: Das erste Kriterium war natürlich die Erwähnung des Ortes, der Objekte usw. im Hobbit-Buch oder zumindest in Mittelerde zum Zeitpunkt von Bilbos Abenteuer. Der Umfang der Einträge hing auch von der Wichtigkeit ab (Girion ist in der Geschichte beispielsweise weniger wichtig als Bilbo). Dann, wie bereits erwähnt, bestand unsere Idee auch darin, Tolkiens ursprüngliche Welt von der Welt der Filmdarstellungen zu trennen. Daher haben wir einige Einträge für Charaktere oder Orte integriert, die in der Geschichte fehlen, aber zu Bilbos Zeiten existierten und in den Filmen präsent waren. Wir wollten erreichen, dass Lesende den Hintergrund der von Tolkien erfundenen Geschichte zu in den Filmen auftauchenden Episoden besser verstehen. Das erklärt, warum wir Einträge über Galadriel oder Bree haben, die im Hobbit beide nicht erwähnt werden.
Coralie: Ich erinnere mich, dass ich Der Hobbit mit einem Notizbuch gelesen und eine Liste aller Namen, Orte und Ereignisse erstellt habe, die erwähnt wurden, auch wenn sie nur angedeutet und nicht explizit genannt wurden. Ich kam damals bei der Zeile über die Lichtelben, die Tiefelben und die Seeelben an und dachte: „Jetzt können wir tatsächlich über eine Menge aus dem Silmarillion sprechen!“ Ich hatte mich vorher nicht daran erinnern können, dass sie im Hobbit erwähnt wurden.
Welchen Einfluss hatten eure eigenen Erfahrungen und euer Engagement innerhalb der Tolkien-Community auf die Gestaltung der Enzyklopädie?
Vivien: Das lässt sich gar nicht voneinander trennen. Jeder von uns engagiert sich schon lange in der französischsprachigen Tolkien-Community, sei es bei Tolkiendil, der französischen Tolkien-Gesellschaft, bei Elbakin.net, einer auf Fantasy spezialisierten französischen Website, oder beim Tolkien-Projekt auf der französischen Wikipedia. Diese verschiedenen Erfahrungen ermöglichten es uns erst, darüber nachzudenken, wie wir die Enzyklopädie erstellen und gestalten können. Insbesondere der Aufbau des Buches, also die Trennung der Themen statt einer alphabetisch angeordneten Abarbeitung zu folgen, hat sich daraus entwickelt.
Damien: Ich möchte hinzufügen, dass ein großer Teil der aktiven französischen Tolkien-Gemeinschaft als Mitwirkende an diesem Buch beteiligt war, sodass es sich in mehr als einer Hinsicht um ein Buch handelt, das ohne unser Engagement in dieser Gemeinschaft nie existiert hätte.
Könnt ihr einen besonderen Moment aus Der Hobbit benennen, der in der Enzyklopädie eurer Meinung nach eine neue oder vertiefendere Interpretation erfahren hat?
Dominique: Ja, alles über die Adler. Sie sind tief in der Geschichte von Mittelerde verankert – und darüber hinaus – aber sie werden regelmäßig als ein etwas seltsames deus ex machina angesehen.
Damien: Was den Abschnitt "Inspirationen" betrifft, so kann ich mich nicht daran erinnern, dass die Motive von Sir Orfeo zuvor mit den Ereignissen in Der Hobbit verglichen worden wären. Das Gleiche gilt für das Artus-Motiv des Ödlandes, das bereits für andere Wüsten in Tolkiens Welt diskutiert wurde, nicht jedoch für die Einöde von Smaug, soweit ich weiß. Ziel dieses Buches war es jedoch, eine nützliche Zusammenfassung für Menschen zu liefern, die keine vollwertigen Tolkien-Experten sind, aber mehr über sein Universum erfahren möchten. Wir wollten kein wissenschaftliches Werk schaffen, das die Interpretationen von Fachleuten herausfordert.
Coralie: Ja, das Ziel bestand darin, Interpretationen, die in Tolkiens Gelehrtenkreisen bereits bekannt waren, einem größeren Publikum zugänglich zu machen.
Gab es neue Erkenntnisse oder Überraschungen, auf die ihr während eurer Recherche für die Enzyklopädie gestoßen seid?
Dominique: Ja, so etwas betraf zum Beispiel die Zwerge. Man behält sie als Gruppe in Erinnerung, aber es gibt viele kleine Details über die einzelnen Zwerge zu entdecken.
Damien: Das war nicht unbedingt etwas, das mir aufgefallen ist, aber ich muss auch sagen, dass ich nicht tief in der Recherche steckte. Zumindest nicht in dem Sinne, dass ich nach mir unbekannten Informationen gesucht habe. Für mich bestand die Hauptarbeit darin, alle Details wiederzufinden, die ich in den letzten fünfzehn Jahren in Tolkiens Büchern gelesen hatte.
Die Enzyklopädie hat viele wundervolle Illustrationen. Welche Bedeutung messt ihr den Illustrationen bei, wenn es darum geht, Mittelerde für den Lesenden lebendig zu machen? Nach welchen Kriterien habt ihr die Darstellungen ausgewählt?
Damien: Die Auswahl des Illustratoren bzw. der Illustratorin (Anm. d. Red.: Sandrine Gestin und Xavier Sanchez) erfolgte durch den Herausgeber, der die von ihm eingereichten Illustrationen annehmen oder ablehnen konnte. Allerdings haben auch wir viel mit den beiden gesprochen, um ihnen so viele Details wie möglich zu den von ihnen illustrierten Themen zu geben. Ziel war es, dass sie so viele Details wie möglich hinzufügen konnten, die zu Tolkiens Beschreibungen passten. Für mich haben die Illustrationen einen sehr starken Einfluss auf die Rezeption eines solchen Buches. Wir waren froh, dass die beiden sich dafür entschieden haben, die Enzyklopädie des Hobbits in einem ganz anderen Stil als die Filme zu illustrieren. Natürlich schätzen wir auch Illustratoren wie John Howe, Alan Lee oder Ted Nasmith sehr. Aber es ist schön, verschiedene visuelle Interpretationen von Tolkiens Legendarium zu sehen.
Inwiefern hatten die modernen Interpretationen, wie die Filmadaptionen von Peter Jackson, bei der Erstellung der Enzyklopädie Einfluss auf euch?
Damien: Wie von Vivien bereits erwähnt, bestand der größte Einfluss darin, Tolkiens Welt an sich zu beschreiben und sie von den Interpretationen durch Film und Fernsehen abzugrenzen.
Coralie: Wir wollten ein Buch über Tolkiens Werke machen, nicht über seine Adaptionen. Aber das Wissen über diese Verfilmungen hat mich sicherlich dazu veranlasst, zumindest einige Details hinzuzufügen, die den neueren Werken widersprechen und bei denen ich ohne die Adaptionen nicht die Notwendigkeit gesehen hätte, sie zu erwähnen.
Vielen Dank für das Interview!
Das Interview führte Nadine Kaiser, die Übersetzung aus dem Englischen ist von Jorina Havet und Nadine Kaiser.
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Zauberfeder